Ausstellung KUNST I STOFF im Staatlichen Textil- und Industriemuseum Augsburg 2015 mit interventionellen Arbeiten vieler Mitglieder der NM

* Katalog


Zur Geschichte und Gegenwart der Neuen Münchner Künstlergenossenschaft

Die Münchner Künstlergenossenschaft formierte sich als erster  Künstlerbund in Süddeutschland im Herbst 1860 in der damals führenden Kunsthauptstadt München. Im gesamten deutschsprachigen Raum war sie keineswegs die erste Gründung dieser Art. Die älteste solcher Vereinigungen wurde in Berlin - damals äonenweit davon entfernt, jemals Reichshauptstadt zu werden - schon 1841 gegründet. Düsseldorf, Frankfurt a. Main und Leipzig schlossen sich an. Nach der Münchner Gründung folgten noch Wien, Stuttgart, Dresden und Zürich.

Warum sich die Künstlervereinigungen vermehrt in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bildeten, hat diverse Gründe. So formierte sich in ihnen der Widerstand gegen den vorherrschenden akademischen Kunstbetrieb. Die maßgebliche Position des Bürgertums verlangte aber auch einer Ortung der gesellschaftlichen Stellung des Künstlers, der mit dem zunehmenden Verlust von Auftraggebern sein Selbstverständnis im Sinne der l'Art pour l'Art neu zu definieren hatte.

Wohl kann man bei den Vereinigungen auch von einer Art Demokratisierung des Künstlertums sprechen. Wie homogen oder gelungen dieser Zusammmenschluss zwangsläufig individueller Künstlergesinnungen sein kann, zeigt nicht zuletzt die wechselhafte Geschichte der Münchner Künstlergenossenschaft. Aus einer Kette von Sezessionen und Neugründungen entstand letztlich jener Verbund, der sich heute Neue Münchner nennt.

Die sicherlich spektakulärste Spaltung der Münchner Künstlergenossenschaft erfolgte 1892, als über hundert Mitglieder wegen Meinungsverschiedenheiten über die zukünftige Gestaltung der Jahresausstellung im damals noch existierenden Glaspalast sowie aus künstlerischen Differenzen austraten. Sie gründeten einen weiteren Verein bildender Künstler in München - die "Secession". Derlei  Bewegungen gab es zu dieser Zeit im In- und Ausland häufig, so in Dresden, Karlsruhe, Berlin und auch Paris.

Wie auch heute noch, war schon damals das Stigma eines Vereins so manchem souveränen Künstler ziemlich gleichgültig, sodass man sich die separatistischen Tendenzen nicht in der durchgängigen Härte eines ideologisch motivierten Kampfes vorzustellen hat. Und wie in der Gegenwart stellten auch damals Künstler unter der Fahne der einen sowie der anderen Künstlergruppierung aus. Max Klinger etwa präsentierte seine Arbeiten sowohl in der "Secession", als auch im Glaspalast zur Jahresausstellung der Münchner Künstlergenossenschaft.

Wie fließend die Grenzen zwischen den Gruppierungen waren (und heute noch sind), bewiesen überdies existierende informelle Vereinigungen wie etwa die "Allotria", nach dem 2. Weltkrieg vor allem als "Seerosenkreis" bekannt. Zu den Mitgliedern zählten einst unter anderem Arnold Böcklin und Lovis Corinth.

Mit dem Aufkommen des Impressionismus in Frankreich brachen auch die künstlerischen Fronten in der Münchner Künstlergenossenschaft auf und führten zu heftigen Auseinandersetzungen. Claude Monets programmatisches Gemälde der "Impression soleil levant", das er 1874 im Atelier des Fotografen Nadar ausstellte, steht bildhaft für den Bruch mit der akademischen Kunst des 19. Jahrhunderts. Auch in München wurde der neue Stil als einschneidendes Ereignis erlebt und diskutiert.

 

Doch nicht einmal so sehr die künstlerischen Irritationen zu Beginn der Moderne, sondern vielmehr politische und kulturpolitische Umstände führten zu eigentlichen Zäsur in der Geschichte der Künstlergenossenschaft und letztlich zu ihrer Auflösung. Künstlervereinigungen besitzen ihrem Wesen nach demokratische und pluralistische Strukturen. In Bayern wurden sie vom städtischen Bürgertum getragen, freundlich unterstützt von den Wittelsbachern. Diktatorischen Systemen mussten sie deshalb zwangsläufig ein Dorn im Auge sein. So erscheint es symptomatisch, dass sich sowohl die Lexika der NS-Zeit als auch die der ehemaligen DDR über die Geschichte der Künstlergenossenschaften weitgehend ausschwiegen. Nach der Gleichschaltung während des Nationalsozialismus und der Schaffung der "Reichskammer der bildenden Künste" schrumpfte die Bedeutung der Künstlergenossenschaften zusehends. Schließlich wurden sie ganz aufgelöst.

 

 

Die Neue Münchner Künstlergenossenschaft ab 1946

 

Die Neue Münchner Künstlergenossenschaft (NM) hat sich nach dem Ende des 2. Weltkriegs im Juni 1946 unter der Leitung der Maler Carl Theodor Protzen (1887-1956) und Eduard Aigner (1903-1978) aus der seit 1860 bestehenden Münchener Künstlergenossenschaft (MKG) neu gegründet. Während der NS-Herrschaft und ihrer normativen Kunstpolitik war sie wie alle anderen deutschen Künstlervereinigungen, darunter die „Münchener Secession“, aufgelöst worden. 

 

Der Neugründung der Münchner Künstlergenossenschaft folgte schon bald (im Oktober 1948) die Abspaltung eines Teils ihrer Mitglieder um den konservativen Maler Constantin Gerhardinger (1888-1970), der in der NS-Zeit zu den Profiteuren der offiziellen Kulturpolitik gehört hatte.  Diese traditionalistische ausgerichtete Gruppe berief sich auf die alte Münchner Künstlergenossenschaft und führte sie unter dem Namen „Münchener Künstlergenossenschaft. Königlich Privilegiert 1868“ weiter.

 

Die Neue Münchner Künstlergenossenschaft (NM) unterschied sich von dieser Gruppierung nicht nur kulturpolitisch, sondern auch ästhetisch, in dem sie sich offen zeigte für alle modernen, damals zeitgenössischen Bereiche der Bildenden Kunst, insbesondere für alle Kunstströmungen, die während der NS-Zeit unterdrückt und verfolgt worden waren. Von einem überlebten Traditionalismus setzte sie sich deutlich ab. 

 

Bereits 1947 fand eine erste Ausstellung der NM in den Räumen der Städtischen Galerie im Lenbachhaus statt. 1948 schlossen sich drei Künstlergruppen, die Neue Münchner Künstlergenossenschaft (NM), die ebenfalls wieder begründete Münchener Secession und die etwas später gegründete Neue Gruppe zur Ausstellungsleitung im Haus der Kunst München zusammen. Die Ausstellungsleitung, die sich aus den drei Gruppen formierte, richtete dort bis 1993 weit über 100 internationale Ausstellungen, wie zu Frank Lloyd Wright, Ernst Ludwig Kirchner, Le Corbusier, Oskar Kokoschka, Vincent van Gogh, Wassily Kandinsky, Paul Klee und Picasso aus und organisierte und kuratierte von 1949 bis 2011 jährlich die „Große Kunstausstellung München“. Eine Ausstellungsreihe, die große Resonanz fand und ausschließlich von Künstlern für Künstler veranstaltet wurde. Seit Beginn der 1990er Jahre kooperieren die drei Künstlergemeinschaften mit der „Stiftung Haus der Kunst“ und ihren seit 1993 berufenen Direktoren. 

 

 

Die Neue Münchner Künstlergenossenschaft heute 

 

Viele Mitglieder der NM unterstützen heute den Künstlerverbund im Haus der Kunst München, der in der Nachfolge der Ausstellungsleitung Große Kunstausstellung steht, bei der Durchführung der seit 2013 stattfindenden „Biennale der Künstler“. 

 

Ausstellungen wie Habseligkeiten (2012/2013, Positionen zeitgenössischer Kunst der NM im Dialog mit Objekten der Archäologischen Staatssammlung München), Über alle Berge (2016) in der Galerie Prisma des Südtiroler Künstlerbundes, Territorien (2018/19) in der Kunsthalle Hannover und Halle 50 München, verzeichnet (2020) in der Galerie DER MIXER Frankfurt und (2021) in der Galerie FOE München, Luftlinie (2022) im Kunstverein Landshut sowie die Jubiläumsausstellung der NM (2019) im Künstlerhaus am Lenbachplatz in München sind Beispiele für eine rege Ausstellungstätigkeit und die deutschlandweite und internationale Vernetzung der NM. In diesen gut besuchten Ausstellungen spiegelten sich die künstlerische Herkunft der Mitglieder und ihre heutige Positionierung mit Arbeiten aus allen Bereichen der Bildenden Kunst wider. 

 

Bekannte und geschätzte, leider schon verstorbene Mitglieder der NM waren etwa die Zeichnerin Charlotte Dietrich, der Bronzebildhauer Martin Mayer und Franz Ferdinand Wörle, ein Metallbildhauer, der in München und Oberbayern viele künstlerischen Spuren hinterlassen hat. Der Maler Manfred Mayerle und Prof. Dr. Andreas Kühne, ein Münchner Kunst- und Wissenschaftshistoriker, ergänzen und beraten die Gruppe in ihrer Funktion als Ehrenpräsidenten. Aktive KollegInnen – als PräsidentInnen, SchatzmeisterInnen und SchriftführerInnen im Vorstand vertreten – sind die Medienkünstlerin Eva Ruhland, die Malerin Tatjana Utz, die Bildhauerin Nausikaa Hacker, der Performancekünstler Thomas Sterna, die Installationskünstlerin Esther Glück sowie die Zeichnerin, Malerin und Fotografin Barbara Regner. Zur jungen und jüngeren Generation unserer neuen Mitglieder zählen u. a. die Bildhauerin Fumie Ogura und der Holzbildhauer Thomas Breitenfeld. 

 

Zu den vorrangigen Aufgaben der NM zählen - heute wie zur Zeit ihrer Gründung - die gemeinschaftliche Vertretung der Interessen ihrer Mitglieder, die gegenseitige Unterstützung der Mitglieder sowie die Förderung und Organisation von Ausstellungen. 

 

Ohne sich ständig an den Zwängen des Kunstmarkts orientieren zu müssen, bildet die NM als zeitgenössische Künstlervereinigung einen lebendigen Spiegel ganz unterschiedlicher Haltungen in der Kunstlandschaft des 21. Jahrhunderts. Die diversen künstlerischen Temperamente und Handschriften ihrer Mitglieder versuchen Orientierung zu geben in einer Gesellschaft, die sich großen Veränderungen ausgesetzt sieht.  

 

 

Esther Glück

Prof. Dr. Andreas Kühne

 


Archivaufnahmen zur Jury der GKA im Haus der Kunst